Freitag, 29. Juli 2011

Fernmeldeamt hautnah

Seit unserer letzten Erkundungstour im Herzen von Berlin ist ein wenig Zeit vergangen.
Trotz alledem wollen wir uns keineswegs scheuen, den besagten Besuch auch im Nachhinein noch zu dokumentieren.  Nach einigen Absprachen mit einem unserer Art, welcher etliche Monate zuvor an Ort und Stelle war, trafen wir eine Entscheidung und begaben uns eines schlechten Tages – es regnete nahezu unerlässlich – auf den Weg zum alten Fernmeldeamt.

Nach unserer Ankunft inspizierten wir das Gebäude vorerst von außen, indem wir eine große Runde um den Block liefen. Keine zweihundert Meter vom Amt entfernt traf uns sogleich der erste Schock in Form eines Polizeireviers. Beim näheren Hinschauen sah es auf eine sonderbare Art und Weise verlassen aus, dies zu prüfen wagten wir jedoch nicht, stattdessen begnügten wir uns mit der Genugtuung, nach erfolgreichem Abschluss der Runde einen relativ leicht zu übersteigenden Zaun ausfindig gemacht zu haben, welcher an eine alte Holzleiter mündete.

Auf dem Gelände angekommen waren wir nun vollkommen sicher vor den Blicken diverser Passanten und so hatten wir alle Zeit der Welt, welche wir damit füllten, uns einen geeigneten Einstieg zu suchen. Abgesehen von der Witterung schien der Tag doch nicht all zu negativ zu sein, wie ein einladendes Fenster bewies. In unserem Enthusiasmus nutzten wir die Gunst der Gelegenheit und nutzten ein verrostetes Gitter, welches sich direkt darunter befand, als Steighilfe.

Das Gebäude selbst empfing einen umgehend mit dem längst gewohnten modrigen Geruch alter, verlassener Ruinen. Der löchrige Boden machte das Laufen weitaus mühsamer, als vorerst angenommen, aber als wir durch die einzelnen Räumlichkeiten – es waren Unmengen – schritten, wussten wir, weshalb wir hergekommen waren und nichts anderes zählte in diesen Momenten.

Zweieinhalb Stunden und unzählige Fotos später hatten wir uns schließlich durch Asbest verseuchte Hallen von beeindruckender Größe, mit Nazi-Parolen verunreinigter Räume und nicht zu vergessen, über einsturzgefährdete Decken bis zum gewaltigen Dachboden vorgekämpft. Das Gebäude im Allgemeinen als freundlich zu beschreiben, würde entweder ein gewisses Maß an Sarkasmus, oder aber vollkommende Blindheit voraussetzen, doch hier oben herrschte eine weitaus andere Stimmung, so eisig, dass sie einem das Blut in den Adern gefrieren ließ. Das gedämpfte Licht, welches sich nur durch fehlende Schinkel einen Weg herein bahnen konnte, hüllte alles in eine gespenstige Atmosphäre, die den Fotos wiederum eine eigene, nachdenkliche Note verlieh.

Sind es doch genau diese Augenblicke, wenn Türen, getrieben vom Wind, wie von Geisterhand beginnen, in einer Vielzahl schauriger Töne zu quietschen oder unheimliche Situationen einen vielleicht an Filmausschnitte erinnern, die sich eingebrannt haben und einem nun einen Schauer über den Rücken jagen, - genau diese Augenblicke sind es, die neben den Nostalgie und Schönheit aufrufenden Fotos den Reiz für Explorer, Menschen wie uns, ausmachen.

Auf dem Rückweg aus der Ruine trafen wir zu guter Letzt auf den letzten Besucher des Hauses, der den Ausweg scheinbar vergebens gesucht hatte und zu einem stillen Zeitzeugen der Ereignisse wurde; eine schon stark in sich zusammen gefallene Katze, welche womöglich dem Hunger zum Opfer gefallen war.

Ein interessanter Tag neigte sich dem Ende zu. Wieder hatten wir uns an das eiserne, ungeschriebene Explorer-Gesetz gehalten. Alles, was wir hinterließen, waren Fußabdrücke, alles, was wir nahmen, Erfahrungen und ganz insbesondere Erinnerungen in Form von fotografisch festgehaltener Geschichte.

















Sonntag, 3. Juli 2011

Der gemeine Explorer

Wo wir doch nun im vorangegangenem Post darüber berichteten, wie wir eigentlich zu Exploreren wurden, bin ich der Ansicht, dass es nun an der Zeit ist, eine weitaus wesentlichere Frage zu klären. Was um alles in der Welt ist überhaupt ein Explorer?
Wenn man es einmal genauer in Augenschein nimmt, ist einzig und allein der Name neu. Die Aktivität ansich wird schon seit einer Ewigkeit betrieben. Beispielsweise gibt es Aufzeichnungen, die sich bis ins zweite und dritte Jahrhundert zurück führen lassen, in denen es um das Aufsuchen von alten, verlassenen Stätten geht.

Die Allgemeinheit würde den Explorer wahrscheinlich unverblümt und aufgrund ihrer Ahnungslosigkeit als Einbrecher oder gar Dieb bezeichnen. Dies ist jedoch ein weit verbreiteter Irrglaube. Mit Sicherheit erfüllt man des Öfteren den Tatbestand nach § 123 StGB, auch bekannt als Hausfriedensbruch, keineswegs jedoch den Tatbestand nach § 242 StGB ff, welcher da Diebstahl lautet. Dies würde gegen die moralischen Vorstellungen eines Explorers verstoßen, da das Entfernen oder Verändern des Vorgefundenen ist nicht Sinn und Zweck unserer Besuche. Wir dokumentieren lediglich ein Stück Geschichte, welches für den Großteil der Bevölkerung schlichtweg in Vergessenheit geraten ist oder viel zu unbedeutend ("Wen interessieren schon ein paar alte Ruinen?") erscheint.
Man könnte uns also als Archäologen der modernen Zeitgeschichte und der verloreren Orte beschreiben.
Einen großen Anreiz stellt sicher auch das Verbotene dar, die Ungewissheit, nicht vielleicht doch erwischt zu werden, obgleich es einem doch um nichts anderes geht, als das Vorgefundene in all seiner Pracht fotografisch und dokumentationstechnisch festzuhalten, auf ewig.

In diesem Sinne werde ich mich dann auch umgehend meinen Utensilien widmen, denn sie werden heute definitiv noch zum Einsatz kommen.
Auf gehts, auf bald!

Samstag, 2. Juli 2011

Erster Streich

Was sich wirklich als interessant erweist, ist doch die Tatsache, dass ein jeder mindestens einmal in seinem Leben für etwas vollkommen entflammt. Weitaus interessanter ist jedoch, unter welchen Umständen dies vonstatten geht. Dabei ist es von äußerster Irrelevanz, ob der Mensch sich vom Schiksal oder vom Zufall leiten lässt, geschehen tut es meist, wenn man am wenigsten damit rechnet, selbst wenn man im Nachhinein felsenfest von insgeheimer genauer Berechnung überzeugt ist. Andere hingegen, die sich nicht gezwungen fühlen, allen Geschehnissen einen bestimmten Grund zuzuschreiben, sehen sich einfach nur in einer Kette von ungeplanten aufeinander folgenden Ereignissen. Und wieder andere, welche sich nicht ganz schlüssig sind, zu welcher Gruppierung sie sich letztendlich gesellen sollen, finden sich eines Nachmittags im Juni in keinem geringeren Kulturkaufhaus wieder, als Dussmann. Das waren dann wohl wir.
Geistesbehellt konnten wir uns selbst dabei beobachten, wie wir in unzähligen Berlin-Lektüren ertranken. Plötzlich fasziniert von einigen fotografisch festgehaltenen alten Bauten, deren Tage gezählt waren, fassten wir den Entschluss, unsere Heimatstadt auf eine etwas andere Art und Weise zu erkunden. Ahnungslos, wo die Reise hinführen und was uns noch erwarten sollte, suchten wir ersteinmal den nahe gelegenen S-Bahnhof namens Friedrichstraße auf. Hierbei darf keinesfalls unerwähnt bleiben, dass die weltweit bekannte Fast-Food-Kette Burger King ihr Handwerk nicht länger zu verstehen scheint. Bis zum heutigen Tage steht und bleibt die Frage im Raum, was an dem Wörtchen Schoko-Milchshake so unverständlich war, dass man stattdessen einen dickflüssigen Brei; Hauptzutat: Zucker (und frei nach dem Motto "Mehr ist nie genug!" wurde das gleich nochmal mit Zucker² multipliziert), vorgesetzt bekam. Also, eine Warnung geht somit raus an alle Berlin-Liebenden.
Weiter im Text und zurück zur eigentlichen Thematik.
Um welches Nummer es sich bei dem Gefährt S-Bahn handelte, spielt keine Rolle. Einzig und allein zählte zu diesem Zeitpunkt die Fahrt, der Blick, die Auffassung, die auf einmal so völlig anders zu sein schien. Oder kam es uns nur so vor? Die drückende Hitze machte einem zunehmend zu schaffen und die Mitreisenden schienen von vernünftiger Artikulation noch nie etwas gehört zu haben, doch von solchen Lapalien ließ sich unsere Laune nicht beeinflussen. Schwebte uns noch vor geraumer Zeit der Plänterwald samt seinem still gelegten Vergnügungspark vor, entschieden wir uns in letzter Sekunde doch noch um und stiegen an einer Station aus, von der aus uns ein nicht all zu weiter Fußmarsch bevorstand.
Ehe wir uns versahen, lag sie da. Zugegeben, zunächst etwas verborgen und vorerst relativ unscheinbar, dennoch nie zu verkennen. Mit Dingen, die einen gewissen Reiz ausstrahlen verhält es sich wie mit dem Licht, welches für die Motten niemals umgänglich ist, ganz gleich, welche Gefahren damit verbunden sind. In diesem Fall waren wir die Motten, das Licht eine alte Backstein Brauerei von unsagbarer Schönheit. Nun galt es, schnellstmöglich in Erfahrung zu bringen, wie wir uns Einlass verschaffen könnten. Ironischerweise trafen wir alsbald auf zwei Altmetallsammler. Deren soziale Ader und ein offenes Fenster kamen uns an diesem Tag nur zugute. So waren wir geblendet von der Ästhetik des Verfalls, erkundeten Unmengen des Geländes und der Überbleibsel und doch nie genug. Einige Eindrücke wurden via Kamera eingefangen, wobei wir stets darauf bedacht waren, Vorsicht walten zu lassen, da man beispielsweise einigen Treppen aufgrund nicht länger vorhandener Stahlträger kein Vertrauen schenken konnte. Da die ehemalige Brauerei seit gut fünfzehn Jahren nicht in Betrieb war, lösten wenige alte Flaschen, die noch an Ort und Stelle verblieben waren, große Faszination aus. Zeitgleich konnte man jedoch auch mutwillige Zerstörung in Form von akutem Vandalismus bedauern.
Mit gemischten Gefühlen und dem Entschluss, (mit einer funktionstüchtigen Taschenlampe) wiederzukehren und die Suche nach Verlassenem zu vertiefen, traten wir den Heimweg an. Und höchst wahrscheinlich war er das, der Moment, indem sich irgendwas regte und überall ausbreitete. Der Augenblick, indem ein das Gefühl beschlich, einer Sucht verfallen zu sein. Wir waren fortan süchtig nach allem, was für andere schier ohne jegliche Bedeutung und nahezu in Vergessenheit geraten zu sein schien. Das waren und das sind sie, unsere Drogen. Und wir wollen mehr davon. Und in diesbezüglich stimmen wir Burger King eventuell doch zu, wenn wir sagen: "Mehr ist nie genug.".